"Stein des Anstoßes" Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich zu der heutigen Vernissage mit Arbeiten von Ulrike Siebei. Die Thematik dieser Ausstellung ,Stein des Anstoßes' erlaubt vielfältige Assoziationen. Mit dem Gegenstand hat jeder seine eigenen Erfahrungen. Mit dem Stein und mit dem Anstoß. Ein Stein kann einfach so existieren, in der Landschaft, am Strand, im Wasser. Ein Stein kann zu vielfältiger Verwendung genutzt werden - im profanen Bereich: aus Steinen werden Häuser gebaut, sie verfügen über eine entsprechende Beschaffenheit. Aber letztlich kann er auch der Kunst zu Diensten sein - als Material für eine Skulptur oder als Anregung für eine andere Form der künstlerischen Umsetzung. Der Stein hat Format, eine entsprechende Oberfläche - zwischen rauh und glatt, geglättet. Auch die Farbigkeit kann variieren. Wilhelm Lehmbruck hat Steine gemahlen, mit einem Bindemittel versehen und so Plastiken gegossen. Auf diese Weise erhalten die Werke eine ganz unterschiedliche Farbigkeit. Skulptur und Plastik - selten werden die Begriffe so verwendet, wie es im Grunde stimmig ist. Denn eine Skulptur entsteht vermittels Reduktion, beispielsweise aus einem Stein. Eine Plastik hingegen in einem additiven Verfahren, beispielsweise aus Ton, aus Gips oder eben aus Steinmehl. Die reale Verwendbarkeit eines Steines ist das Eine, die allegorische und metaphorische Ebene das Andere. Neben den Beispielen aus dem sprichwörtlichen Umfeld, beispielsweise das Wort ,mit Steinen werfen' gibt es ihn als Symbol in der Bibel und damit auch als Motiv in der Kunst und dies ist einer der Ansätze der Künstlerin. Die Steinsymbolik gehört wie die Pflanzensymbolik zum Spiegel der Natur. Steine gehören zu den Naturerscheinungen, die Heilstatsachen abbilden. Die zwölf vom Propheten Josua genannten Steine bedeuten die zwölf Stämme Israels beispielsweise. Durch Matthäus (21,42ff), Markus (12,10) und Lukas (20,17), wonach Christus, der von den Bauleuten verworfene Stein zum Eckstein wurde und durch die Interpretation der Kirchenväter (- Bonaventura) ging die Steinsymbolik in die Baukunst ein: Christus ist der Grund -, Eck- und Schlussstein der Kirche, die sich auf Petrus, den Felsen gründet und aus den Gläubigen, den lebendigen Steinen, errichtet ist. In der Auferstehungssymbolik ist der vom Grabe Christi gewälzte Stein die von der Menschheit genommene Sündenlast. Ohne dem Vortrag am kommenden Mittwoch auch nur annähernd etwas vorwegnehmen zu wollen, ist es mir an dieser Stelle wichtig, diese Aspekte der Steinsymbolik zumindest zu erwähnen. Die Bibel ist die Basis, d.h. für die Kunst bis zu den Anfängen des Barock und in Bildern der Nazarener und auch beispielsweise in Werken von Marc Chagall, Max Beckmann und Emil Nolde im 20.Jahrhundert erfährt sie eine Form der Aktualisierung. Die Bibel ist ein Teil der Geschichte, die zu illustrieren war und in veränderter Form ist. Die Idee, die Chance, diese Arbeiten von Ulrike Siebel in einer Kirche zu zeigen, macht in mehrfacher Weise Sinn. Einmal der bereits angesprochene Bezug zur Bibel und zum anderen ist die Kirche als Ort für die Kunst einer der dafür prädestinierten, denkt man an die Geschichte der Kunst: Freskenzyklen, Altarbilder und auch die Miniaturmalerei lassen sich an dieser Stelle nennen. Die ausgestellten Arbeiten von Ulrike Siebel geben Zeugnis von einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem Sujet. Verschiedene Techniken, dementsprechend zwei - und dreidimensionale Annäherungen an das Phänomen Stein lassen sich entdecken, erkunden. So wird der Stein zweidimensional als Lichtfleck in zarter, verhaltener Farbigkeit bedingt durch die verwendete Technik zu einem scheinbar plastischen Objekt. Die Spuren der Steine sind ebenso Anlass für die künstlerische Auseinandersetzung wie ihr Abbild oder ihre Form als Einblick - Durchblick in das dahinter Liegende. Gebetsfahnen Der Begriff, der Titel ,Gebetsfahnen' beschreibt die Leichtigkeit dieser Arbeiten auf Papier, auf Packpapier, die am liebsten frei im Raum erscheinen und nicht ,festgesetzt' in einem Rahmen. Auf den ersten Blick und von Ferne könnte der Eindruck entstehen, dass es sich um Farbkompositionen um der Farbe Willen handelt; erst bei der näheren Betrachtung sind ganz viele Zeichen zu entdecken, Linien, Verdichtungen, gezeichnet, gemalt, angedeutet. Symbole erscheinen und in der genauen Leseart zeigen sich Buchstaben - Bibelstellen, Satzfragmente, lesbar oder seitenverkehrt eingearbeitet. Der gedruckte Buchstabe hier und die eigene Linie dort, Kreuzungen (Lichtungen) zwischen den verschiedenen Elementen, die wesentlich in zwei Farbvariationen umgesetzt sind: Gelb und Rot. Die Himmelsleiter hier, der siebenarmige Leuchter dort, die Palette der zitierten Symbole scheint unendlich. Künstlerbücher - auf dem Taufbecken und an einer weiteren Stelle Leporello, Form um zu blättern Skizzen, Proben, Gedanken, Übungen - bis hin zu ,fertigen', eigenständigen Blättern - ein Weg zur Erarbeitung für die Künstlerin, ein Weg für die Betrachtenden zu verstehen Techniken: Feder und Tusche, Aquarell, Collage, Relief, Enkaustik, Eitempera auf Leinwand, Vlies Papier Auch in den Farben,in der Farbigkeit eine Annäherung an die Verschiedenartigkeit der Steine, zwischen schwer und leicht - bis hin zu einer Transparenz, eckig und abgerundet ... fast weich In der Farbigkeit auch die Nähe zum Wasser, zur Erde - zu den unterschiedlichen Fundsteilen der Steine Nicht laute, starke Farben, sondern zurückhaltende, leise Farbklänge fordern zu einer ebensolchen Betrachtungsweise auf. Zwischen Malerei - Graphik, plastische Elemente, Frottage als Möglichkeit, den Gegenstand selbst anwesend sein zu lassen, zumindest seine Struktur. Nicht die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand in einer Technik, sondern die Freude am Experimentieren, dem Gegenstand in ganz unterschiedlichen Materialien näher zu kommen, steht im Focus des Interesses der Künstlerin. (Auszug aus der Einführung von Dr. Ellen Markgraf, Lennep 2.4.2005) |